Friedensnobelpreis 1980: Adolfo Pérez Esquivel

Friedensnobelpreis 1980: Adolfo Pérez Esquivel
Friedensnobelpreis 1980: Adolfo Pérez Esquivel
 
Der argentinische Bürgerrechtler erhielt den Nobelpreis für seinen gewaltfreien Widerstand gegen Menschenrechtsverletzungen in Argentinien und anderen Ländern Lateinamerikas.
 
 
Adolfo Maria Pérez Esquivel, * Buenos Aires 26. 11. 1931; Architekt, Bildhauer und Bürgerrechtler, 1957-74 Universitätsdozent in Buenos Aires und La Plata, 1968 Mitbegründer der lateinamerikanischen Menschenrechtsorganisation Servicio Paz y Justicia en América Latina (SERPAJ-AL), 1974-86 Präsident des SERPAJ-AL, 1977-78 in Argentinien in Haft, seit 1987 Präsident der International League for the Rights and Liberation of Peoples.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Als Sohn armer spanischer Einwanderer, der früh seine Mutter verloren hatte, wurde Adolfo Esquivel in einem katholischen Internat erzogen und stark durch die christlichen Ideale der Nächstenliebe geprägt. In den Menschenrechtsorganisationen, in denen er seit der Mitte der 1960er-Jahre aktiv ist, spielen außer Studenten und Gewerkschaftlern vor allem Vertreter der großen christlichen Kirchen eine entscheidende Rolle.
 
Adolfo Pérez Esquivel war und ist aber nicht nur ein tiefreligiöser Mensch, der sich aus christlicher Überzeugung für die ausgebeuteten und unterdrückten Menschen in Lateinamerika einsetzt, sondern auch ein hoch talentierter Künstler. Nach dem Studium an der führenden Kunstakademie Argentiniens und seiner Heirat mit der Pianistin und Komponistin Amanda Pérez (seither trägt er den Doppelnamen) schuf er von 1956 bis 1974 als Bildhauer zahlreiche bedeutende Werke, die heute in den großen Museen Südamerikas ausgestellt sind. Dann fasste der erfolgreiche Künstler jedoch den Entschluss, seine sichere Stellung als Professor aufzugeben und sich in der Position des Generalsekretärs der Dachorganisation der lateinamerikanischen Menschenrechtsgruppen Servicio Paz y Justicia (Dienst für Frieden und Gerechtigkeit) ganz der Menschenrechtsarbeit zu widmen.
 
Um die Mitte der 1970er-Jahre hatte sich die politische, soziale und wirtschaftliche Lage in Lateinamerika dramatisch verschlechtert. In Argentinien weiteten linksorientierte Guerillabewegungen, wie die Montoneros oder der Ejercito Revolucionario del Pueblo (ERP), ihre Aktionen rasch aus, riefen damit den Gegenterror rechtsextremistischer Banden hervor und brachten die Republik an den Rand des Bürgerkriegs. Vor diesem Hintergrund von Terror und Gegenterror wurde die Machtübernahme durch putschende Militärs im März 1976 von weiten Bevölkerungskreisen zunächst begrüßt, doch der beispiellos harte Antiguerillakrieg entwickelte sich bald zu einem Feldzug gegen alle oppositionellen Gruppen im Land.
 
 »Ich kann nicht schweigen«
 
Adolfo Pérez Esquivel, der bisher hauptsächlich in anderen lateinamerikanischen Staaten Hilfe geleistet, etwa Indios in Ecuador vor der drohenden Enteignung ihrer erdölreichen Ländereien durch den Staat bewahrt hatte, sah sich nun in seiner Heimat massiven Verletzungen der elementarsten Menschenrechte gegenüber: Zehntausende Menschen wurden verhaftet, gefoltert und ermordet, man brachte sie mit Giftspritzen um und versenkte ihre Leichen dann weit vor der Küste im Ozean. Wie viele Argentinier und Bürger anderer Staaten auf diese Weise spurlos verschwanden, lässt sich heute kaum noch ermitteln. Menschenrechtler gehen von rund 30 000 Opfern aus.
 
José Luis Borges, der große alte Mann der argentinischen Literatur, hat damals das allgemeine Entsetzen über den Staatsterror wohl am besten in Worten ausgedrückt: »Wie könnte ich angesichts all dieser Toten, all dieser Verschwundenen schweigen?. .. Ich kann auch nicht stumm bleiben, wenn Leute ohne Gerichtsurteil eingekerkert werden. .. Es heißt, man solle solche Sachen nicht sagen, weil es dem Image unseres Landes schaden könnte, doch die Wahrheit ist weitaus wichtiger als irgendein Image. ..«
 
Der Ruf der argentinischen Militärdiktatur hätte auch nicht mehr schlechter werden können. Regelmäßig versammelten sich die »Mütter der Plaza del Mayo« auf dem weiten Platz im Zentrum der Hauptstadt, um von den Verantwortlichen Aufklärung über das Schicksal ihrer verschwundenen Angehörigen zu fordern, und die internationale Presse berichtete ausführlich darüber. Adolfo Pérez Esquivel organisierte die Protestversammlungen, wurde so in den Augen der Machthaber zum »subversiven Element«, das ausgeschaltet werden musste. Mehr als ein Jahr verbrachte er ohne Gerichtsurteil im Gefängnis, erlitt brutale Folterungen, kam dann jedoch durch eine Kampagne von Amnesty International und anderer Menschenrechtsorganisationen wieder frei.
 
 »Mit geballten Fäusten kann man nicht säen«
 
Um ihr Image wenigstens im eigenen Land zu verbessern, ließ sich die Militärjunta im Frühjahr 1982 auf das Abenteuer eines Krieges mit Großbritannien um die Falklandinseln (oder Islas Malvinas) ein. Was als Befreiungsschlag gedacht war, misslang gründlich, endete mit einer schweren Niederlage der Argentinier und führte letztlich zum Zerfall der Militärdiktatur. Die Regierung unter der Leitung des demokratisch gewählten Präsidenten Raúl Alfonsin, die ein Jahr später die Amtsgeschäfte übernahm, hatte in dieser Situation eine schwierige Aufgabe zu lösen: Sie musste die Verantwortlichen für die Gräueltaten zur Rechenschaft ziehen, sich aber zugleich auch um die nationale Aussöhnung bemühen. Adolfo Pérez Esquivel, der sich bald nach der Rückkehr Argentiniens zur Demokratie verstärkt der Menschenrechtsarbeit in anderen Ländern zuwandte, ist einerseits dem Prinzip der Gewaltlosigkeit treu geblieben, fordert die Konfliktpartner auf, mit geöffneten Händen aufeinander zuzugehen (»mit geballten Fäusten kann man nicht säen«), betont andererseits aber auch, dass man »Versöhnung nicht erreichen (kann), indem man einfach alles vergisst«.
 
Vergessen und Verdrängen sind allerdings bei der Vergangenheitsbewältigung offenbar noch immer die bequemsten Wege (nicht nur in Argentinien). Die beiden Amnestiegesetze »Punto Final« (Schlusspunkt) und »Obediencia Debida« (Befehlsnotstand), von der Regierung Alfonsin unter dem Druck des Militärs erlassen, um die mittleren Offiziersränge vor Strafverfolgung zu schützen, wurden inzwischen zwar vom argentinischen Abgeordnetenhaus und Senat wieder aufgehoben — freilich nicht rückwirkend. Straftäter müssen daher die einheimische Justiz nicht allzu sehr fürchten. Offiziere, die sich in Interviews damit brüsten, bei »Todesflügen« Menschen aus 2000 Meter Höhe ins Meer gestoßen zu haben, sind folglich noch sicher — solange ihre Opfer nicht Ausländer waren. In Spanien, Frankreich, Italien, Deutschland und anderen Ländern werden nämlich seit einigen Jahren von den Staatsanwälten Menschenrechtsverletzungen gegenüber den jeweiligen Staatsangehörigen eingehend untersucht.
 
P. Göbel

Universal-Lexikon. 2012.

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